Offen durch das Leben

Man könnte meinen, Elsa Stegmann zelebriert jeden Morgen das Leben auf ihre Art und Weise: Sie steht auf und bereitet sich ein gutes Frühstück zu - Kerzenlicht darf dabei nicht fehlen. Danach folgt ein Morgengebet aus einem Gebetsbuch, das über Generationen in ihrer Familie weitervererbt wurde.

Überhaupt merkt man, wie fröhlich sie ist und wie wohl sich die 89-Jährige in ihrer Wohnung der Betreuten Wohnanlage in Ulm-Wiblingen fühlt. Das Wohnzimmer ist gemütlich eingerichtet, mit vielen Pflanzen und frischen Blumen auf dem Tisch, die ihr sehr wichtig sind. „Ich brauche meine Blumen und Pflanzen. Früher habe ich einen Garten gepflegt und das sehr genossen.“ Ruckzuck hat sie ihr Fotoalbum rausgeholt und zeigt Bilder von dem bunt bepflanzten Grundstück. „Ich wollte auch einmal Floristin werden“, sagt sie und erzählt über sich als junger Mensch, der sehr früh selbstständig war und gerne viel ausprobiert hat. „Ich bin in einem kleinen Dorf in Rothenburg ob der Tauber aufgewachsen und habe lange Zeit als Näherin in einer Fabrik gearbeitet. Der Umzug nach Ulm war für mich mit einem Abenteuer verbunden – in die Fremde gehen und neue Möglichkeiten zu erobern. Ich war schon immer forsch durch das Leben gegangen.“ In der neuen Heimat war sie viele Jahre als Telefonistin und Lageristin tätig, Amüsante Erinnerungen als Verkäuferin in der Damenmode hat sie auch. Beim Erzählen muss sie schmunzeln.  

Auf den Gartenfotos ist auch ihr Ehemann zu sehen, den sie mit 27 Jahren geheiratet und vier Kinder großgezogen hat. Er ist mittlerweile verstorben – ein schwarzweißes Hochzeitsbild hängt an der Wand, auf dem sie beide strahlen. Vieles hat sich verändert: die Kinder sind aus dem Haus, sie ist Großmutter und Urgroßmutter geworden und musste ihr altes Haus zurücklassen, weil es nicht barrierefrei ist. Doch Veränderung macht ihr keine Angst: Sie glaubt, dass man den Lauf des Lebens annehmen und das Beste daraus machen sollte. „Ich bin sehr gläubig und dankbar für die Jahre, die mir Gott geschenkt hat und dass ich so viel erleben darf.“ Diese Dankbarkeit kommt von einer Zeit, die sie sehr geprägt hat: Nach einer Thrombose-OP im Jahr 2015 entwickelte sich aufgrund einer Entzündung eine Blutsepsis. „Ich war - wie man sagt - dem Tod nahe und hatte so viel Glück, wieder gesund zu werden.“ Eine Leidenschaft, die sie mit ihrem Mann verbindet, ist das Singen. Wenn es ihr nicht so gut geht, singt sie alte Lieder. Und sie liebt Krimis. Als sie viel Zeit im Krankenhaus verbrachte, strickte sie 17 Paar Socken für die Krankenpfleger:innen und Ärzt:innen. Und bei Weißwurst und Brezel bekommt sie Heimweh nach Bayern.

Wenn sie der jungen Generation etwas mitgeben dürfte, dann das: „Habt Selbstvertrauen und geht offen durch das Leben. Ich finde mich schön, auch mit Falten. Hört anderen gut zu, manchmal reicht auch nur das Zuhören. Menschen kennenzulernen und ein freundliches Lächeln sind viel wichtiger, als man denkt. Alter spielt keine Rolle, die Gesundheit schon. Ich bin glücklich und zufrieden und fühle mich jung, wenn ich in die Natur rausgehe, den Sonnenaufgang sehe und es schaffe, ohne meinen Rollstuhl zu laufen.“

 

Fadwa Al Homsi, Kommunikation und Marketing, Keppler-Stiftung

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